rede am 30. märz 2023 in leipzig


sehr geehrte damen und herren, liebe freundinnen und freunde der komischen kunst,

es ist mir eine große freude sie bzw. euch in der kleinsten ausstellung, die ich je gemacht habe, zu begrüßen! neun bilder, wow! und ich muss gleich, wie es meine art ist, einen ganz schlechten witz machen: also der ukrainische präsident selenskyj, der ist bestimmt total neidisch, wenn er erfährt, dass ich es innerhalb weniger monate in die nato geschafft habe ... ende des witzes.

wie gesagt, der war jetzt ganz schlecht und überhaupt, selbstverständlich verurteilen wir den brutalen angriffskrieg russlands auf ihr land, herr selenskyj, und wir stehen ganz fest zu ihnen, auch in der hoffnung, dass es ihre truppen schaffen, eines tages die russischen invasoren zu vertreiben.

ich meine, wer von uns hätte je gedacht, dass wir mal russland als aggressor bezeichnen müssen? bis 1989 hat meine mutter selig, immer von russland, also damals von der sowjetunion, als „den freunden“ gesprochen. „die freunde“, so meine mutter, „machen das und das ... richtig.“ mutter war eine stramme kommunistin, bis zum abend des 9. november 1989.

ich muss meinen schlechten witz von eben noch weiter korrigieren: es hat deutlich länger als ein paar monate gedauert, bis ich es in die nato geschafft habe. ich wohne jetzt 20 jahre (wieder) in leipzig, in diesen 20 jahren habe ich oft gedacht, hier möchte ich auch mal ausstellen, in der nato. dass es so lange gedauert hat, lag vielleicht auch daran, dass ich irgendwie gebeten werden wollte (ich bin eine diva). und dann war meine frau und kollegin yvonne kuschel auch noch schneller als ich, ihre schöne ausstellung fand hier schon 2022 statt, yeah.

nun danke ich der künstlerin und kuratorin britta schulze, dass sie mich - finally - gefragt und eingeladen hat! danke, britta!

damen und herren, freundinnen und freunde, witzzeichner ist kein lehrberuf! weder kann man eine lehre zum witzzeichner machen, noch kann man das studieren. zwar habe ich mir immer (für meine alten tage) einen lehrstuhl für witzzeichnung oder für komische kunst gewünscht, aber mal ehrlich, wer will sowas schon studieren? und wenn doch, wovon sollen die absolventinnen und absolventen dieses faches leben? die claims zum geldverdienen sind knallhart abgesteckt, da passt kaum jemand neues rein, das ist in der witzbild-branche ganz besonders krass. neue leute haben es sehr sehr schwer. alle lauern, dass einer von den alten endlich den löffel abgibt und ein plätzchen, eine seite, eine spalte, eine rubrik in einem magazin frei und nicht weggespart wird, wie es leider immer öfter passiert.

dazu kommt, witzzeichner können alt werden, nicht alle sterben so jung wie der begnadete bernd pfarr, mit 46, oder der zeichner und jazzmusiker volker kriegel, mit 60, oder f.k. waechter, der nur 68 jahre alt wurde und der bereits im jahr 1978 das damals noch ganz weit entfernte ja unvorstellbare moderne dilemma der komischen kunst in zeiten von social media und internet-memes in einer einzigen zeichnung vorhergesehen hat: „wahrscheinlich guckt wieder kein schwein!“

f.k. waechter hatte es übrigens gut, von ihm wurden noch unbeschadet cartoons abgedruckt wie „am abend hilft die jägerin, dem jäger in die negerin“ (diogenes-verlag, 1978). stellen sie sich sowas mal heute vor! aber ich schweife ab ...

waechters kollege robert gernhardt wurde auch nur 68 jahre alt, chlodwig poth („last exit sossenheim“) immerhin 74 und fritz weigle aka f.w. bernstein wurde 80. der amerikaner george booth, ein new-yorker-zeichner, einer meiner großen helden, starb 2022 im biblischen alter von 96 jahren. die große marie marcks, eine der wenigen zeichnerinnen in deutschland („niemand welkt so schön wie du!“), wurde 92 jahre alt und zeichnete sich bis ins hohe alter die finger wund. wie man hörte, brauchten ihre kinder das geld! claire bretécher, die französin, die mit ihren cartoons, aber vor allem hinreißenden comics sogar in der späten ddr bekannt war - alle wollten so zeichnen wie sie, auch ich hab’s versucht!!! - starb im jahr 2020, mit 79.

sempé, der große jean-jacques sempé, mit dem ich übrigens den tag des geburtstages teilte, starb 2022, kurz vor seinem 90. hans traxler, der letzte überlebende der neuen frankfurter schule, wird am 21. mai diesen jahres 94 jahre alt! und unser henry büttner (lebt der noch und noch wichtiger, kennt den noch jemand?) wird im november 95 jahre alt werden. aber im gegensatz zum unermütlichen traxler, von dem immer noch neue bücher erscheinen, hat büttner schon in den neuzehnachtziger jahren aufgehört zu zeichnen, um sich ganz der lektüre seiner lieblings-philosophen, seinen rosen und dem essen, das ihm seine liebe frau täglich zubereitet, zu widmen. beneidenswert. apropos frau, nicht zu vergessen, unsere barbara henniger, die die fahne der ostdeutschen zeichnerinnen hochhält, ist oder wird, in diesem jahr stolze 85 jährchen alt. du schaffst das, barbara!

es ist weiterhin ein offenes geheimnis, nur ganz wenige witzzeichnerinnen und witzzeichner können vom zeichnen leben, ein paar sehr wenige sehr gut, munkelt man. über geld wird eigentlich nicht gesprochen. die meisten von uns sind mehr oder weniger arm, aber stolz. entweder sind wir stolze freiberufler, oder wir verdienen neben dem witzezeichnen unsere brötchen mit korrekten jobs, wie lehrer, chemielaborant, elektroingenieur oder werbetexter. ich selber brauche seit den neunziger jahren keine jobs bzw. nebenjobs mehr, da mache ich kein geheimnis draus. aber das geld wird auch bei mir immer weniger, mein jahreseinkommen, über das sich jeder handwerker totlachen, oder wenigstens tränen des mitleids vergießen sollte, sinkt seit einigen jahren stetig. aber, ich will nicht klagen, hauptsache gesund (und am leben)!

hinzu kommt, es gibt in deutschland kaum orte, wo komische kunst ausgestellt wird. es sind nur eine handvoll museen und galerien, die sich dem komischen genre verschrieben haben und seine popularität hoch zu halten versuchen: das caricatura-museum in frankfurt am main zählt an erster stelle dazu, ebenso das verdienstvolle wilhelm busch museum in hannover. die caricatura-galerie in kassel muss genannt werden und die cartoonfabrik köpenick mit ihren jährlichen open-air-ausstellungen in prerow auf dem darß. der bahnmitarbeiter und kneipenbesitzer matthias lehmann betreibt in lunzenau, südlich von altenburg, seit jahren ganz ambitioniert die kleinste cartoon-galerie deutschlands, im warteraum eines ehemaligen bahnhaltepunktgebäudes, das er vorm abriss gerettet und auf sein grundstück hat umsetzen lassen.

im schönen greizer park steht das prächtige sommerpalais, wo die staatliche bücher- und kupferstichsammlung haust, an ihren hübschen englischen schabkunstblättern schnuppert und ab und zu mal einen zeitgenössischen, meist irrelevanten, zeichner ausstellt. dabei ging es in den guten alten zeiten, also vor und kurz nach der sogenannten wende, im sommerpalais hoch her: der damalige direktor gotthard brandler hatte ein faible für komische zeichnungen und organisierte die wildesten ausstellungen und legendärsten parties - oder umgekehrt. seit brandler in pension gegangen ist und das museum von westdeutschen kulturverwaltern geleitet wird, name und person des seit 2021 amtierenden direktors wird auf der website des museums nicht einmal erwähnt(!), ist es sehr sehr ruhig und langweilig im tal geworden.

der verein cartoonlobby e.v. aus dem brandenburgischen sucht, nachdem seine gekündigt wurden, räume für ein cartoonmuseum und seine sammlung. dann gibt es noch die sachsen von der galerie komische meister in dresden, die engagiert und unter einbeziehung örtlicher sponsoren aus industrie und politik für die witzverbreitung kämpfen. das speziellere erika-fuchs-haus in schwarzenbach a. d. saale sollte erwähnt werden, das olaf gulbransson museum am tegernsee und die paar kunstvereine, die sich mal eine witzausstellung gönnen ... und das war’s dann in deutschland. oder habe ich was vergessen? jedenfalls, verglichen mit der zahl der „normalen“ kunstgalerien und kunstmuseen ist das alles ein ganz ganz großer witz!

apropos witz, ich muss, glaube ich, nun den weg zurückfinden, ins hier und jetzt ... ins soziokulturelle zentrum die nato. wir stehen heute in der kleinsten beck-cartoon-ausstellung aller zeiten, das will gefeiert werden! verglichen mit den rund 450 arbeiten, die ich seinerzeit, 2016, im frankfurter caricatura museum zeigen durfte, sind diese neun bilder wirklich ein nichts. aber, vergessen wir bitte nicht, in der kürze liegt oft die würze! ein doofer spruch, ich weiß. ich habe mich aber nicht lumpen lassen und extra für diese kleine ausstellung einen cartoon neu gezeichnet und außerdem einen meiner lieblingscartoons aus dem heft cowitz-19 erstmals koloriert.

nun möchte ich noch meiner leisen hoffnung ausdruck verleihen, dass in den kommenden sechs wochen, der eine oder andere besucher der nato diese, meine bilder bemerkt und vielleicht bei einem oder zweien ein kleines lächeln mitnimmt ... damit wäre ich schon zufrieden, ich bin wirklich nicht besonders anspruchsvoll.

vielen dank!